Zusammenfassung des Inhalts
Im Lied „Ein ehrenwertes Haus“ von Udo Jürgens aus dem Jahr 1971 wird die Geschichte eines Paares erzählt, das in einem Mietshaus lebt und aufgrund seiner Lebensweise von den anderen Mietern abgelehnt wird. Das Paar erhält einen Brief von den Nachbarn, in dem steht, dass es ausziehen soll, weil es ohne Trauschein zusammenlebt. Die Geschichte entlarvt die Heuchelei der angeblich „ehrenwerten“ Hausbewohner, die selbst viele moralische Verfehlungen begehen. Das Lied behandelt Themen wie Intoleranz, Doppelmoral und die Scheinheiligkeit der Gesellschaft.
Eröffnung und Leben im Mietshaus
In der ersten Strophe beschreibt Udo Jürgens die Ausgangssituation: „In diesem Mietshaus wohnen wir seit einem Jahr und sind hier wohlbekannt.“ Hier stellt er ein seit über einem Jahr bestehendes friedliches Zusammenleben in einem Mietshaus dar. Doch die Wendung folgt schnell: „Es ist ein Brief von unsern Nachbarn, darin steht, wir müssen raus!“ Dies markiert den Beginn des Konflikts, der die Grundlage des Liedes bildet. Die Nachbarn haben entschieden, dass das Paar nicht in das Bild des „ehrenwerten Hauses“ passt.
Stigmatisierung und Vertreibung
In der zweiten Strophe wird der Grund für die Ablehnung des Paares klarer: „Weil wir als Paar zusammen leben und noch immer ohne Trauschein sind.“ Hier zeigt sich die Intoleranz und Konformität der Nachbarn, die sich gegen das Paar ausgesprochen haben. Es wird dargestellt, dass in einer Gemeinschaft abgestimmt wurde, um die beiden zum Ausziehen zu zwingen: „Und die Gemeinschaft aller Mieter schreibt uns nun „Ziehen Sie hier aus!““. Der Satz „Denn eine wilde Ehe, das passt nicht in dieses ehrenwerte Haus“ verdeutlicht die moralische Überheblichkeit, die den Vorwurf untermauert.
Charakterisierung der Nachbarn
Die dritte Strophe enthüllt die scheinheiligen und fehlerhaften Charakterzüge der Nachbarn. Jürgens führt eine Reihe von Missständen und moralischen Verfehlungen auf, darunter Lügen, Überwachung und Missbrauch: „Die Frau von nebenan, die ihre Lügen nie für sich behalten kann“ und „Auch dieser Kerl, der seine Tochter schlägt, spricht für dies‘ ehrenwerte Haus.“ Jede Zeile dekonstruiert die Fassade der moralischen Überlegenheit der Hausbewohner und zeigt ihre tief verwurzelte Heuchelei und Doppelmoral.
Dokumentation der Zwänge des Alltags
In der vierten Strophe setzt Jürgens die Entlarvung der Nachbarn fort. Er charakterisiert verschiedene Bewohner durch ihre Heuchelei und Betonung auf Regeln: „Der Alte, der uns stets erklärt, was hier im Haus verboten ist“. Der Verweis auf „den vom ersten Stock“, der „zeigt jeden an, der mal falsch parkt“ verdeutlicht die Kleingeistigkeit und Konformität, die das Leben in dem Mietshaus dominieren.
Heuchelei und gegenläufige Moralvorstellungen
Die fünfte und letzte Strophe bietet einen Abgesang auf die Heuchelei und moralische Verderbtheit der Nachbarn. Der „graue Don Juan, der starrt dich jedesmal im Aufzug schamlos an“ und „Die Witwe, die verhindert hat, dass hier ein Schwarzer einziehen kann“ zeigen tief verwurzelte Vorurteile und unangebrachtes Verhalten. Der Ausdruck „Sie alle schämen sich für uns, denn dies ist ja ein ehrenwertes Haus“ gipfelt in der krassen Offenbarung der verzerrten Moralvorstellungen der Gemeinschaft. Abschließend entschließt sich das Paar zur Selbstbefreiung aus dieser toxischen Umgebung: „Wir packen unsere sieben Sachen und ziehen fort aus diesem ehrenwerten Haus.“
Emotionale Wirkung des Liedes
Das Lied „Ein ehrenwertes Haus“ vermittelt eine starke emotionale Botschaft, indem es die Heuchelei und Doppelmoral in einer scheinbar respektablen Gesellschaft enthüllt. Die oft ruhige, fast resignierte Tonlage in Jürgens‘ Stimme unterstreicht die tiefe Enttäuschung und den Ärger über die Stigmatisierung durch die Nachbarn. Die detaillierte Schilderung der unterschiedlichen Charaktere in den einzelnen Strophen erzeugt eine lebendige Vorstellung der Hausgemeinschaft und ihrer Vielschichtigkeit. Das Lied zeigt mehr als nur eine Ebene der Bedeutung: Es ist eine Anklage gegen die Scheinmoral und gesellschaftliche Intoleranz und fordert gleichzeitig zu mehr Akzeptanz und Menschlichkeit auf. Wortspiele wie „ehrenwertes Haus“ als wiederkehrendes Motiv verstärken die Ironie und Kritik an der doppelten Moral der Nachbarn. Zusammengefasst ist „Ein ehrenwertes Haus“ ein thematisch tiefgehendes, emotional vielschichtiges und kritisch-zeitgenössisches Werk, das auch heute noch aktuell ist.
In diesem Mietshaus wohnen wir seit einem Jahr und sind hier wohlbekannt
Doch stell dir vor, was ich soeben unter unsrer Haustür fand
Es ist ein Brief von unsern Nachbarn, darin steht, wir müssen raus!
Sie meinen du und ich wir passen nicht, in dieses ehrenwerte Haus
Weil wir als Paar zusammen leben und noch immer ohne Trauschein sind
Hat man sich gestern hier getroffen und dann hat man abgestimmt
Und die Gemeinschaft aller Mieter schreibt uns nun „Ziehen Sie hier aus!“
(Hey, hey, hey)
Denn eine wilde Ehe, das passt nicht in dieses ehrenwerte Haus
Es haben alle unterschrieben; schau dir mal die lange Liste an
Die Frau von nebenan, die ihre Lügen nie für sich behalten kann
Und die vom Erdgeschoss, tagtäglich spioniert sie jeden aus
Auch dieser Kerl, der seine Tochter schlägt, spricht für dies‘ ehrenwerte Haus
Und dann die Dicke, die den Hund verwöhnt, jedoch ihr eigenes Kind vergisst
Der Alte, der uns stets erklärt, was hier im Haus verboten ist
Und der vom ersten Stock, er schaut die ganze Zeit zum Fenster raus
(Hey, hey, hey)
Und er zeigt jeden an, der mal falsch parkt, vor diesem ehrenwerten Haus
Der graue Don Juan, der starrt dich jedesmal im Aufzug schamlos an
Die Witwe, die verhindert hat, dass hier ein Schwarzer einziehen kann
Auch die von oben, wenn der Gasmann kommt, zieht sie den Schlafrock aus
Sie alle schämen sich für uns, denn dies ist ja ein ehrenwertes Haus
Wenn du mich fragst, diese Heuchelei halt‘ ich nicht länger aus
Wir packen unsere sieben Sachen und ziehen fort aus diesem ehrenwerten Haus